Der Verlust der biologischen Vielfalt und der Klimawandel sind zwei existenzielle Gegenwartskrisen, die aufgrund vielfacher Wechselwirkungen nur gemeinsam gelöst werden können. Das Erfordernis, die Stromproduktion über einen erheblichen Ausbau der erneuerbaren Energien zu bewerkstelligen, kann dabei zu Konflikten mit dem Schutz der biologischen Vielfalt führen. So geht z.B. der Betrieb von Windenergieanlagen (WEA) einher mit der Tötung von schlaggefährdeten Vogel- und Fledermausarten. Die Schlaggefährdung ist wiederum nicht nur eine erhebliche Gefährdungsursache für die betroffenen Vogel- und Fledermausarten, sondern ebenso ein artenschutzrechtliches Problem gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG und damit genehmigungsrelevant.

In Deutschland wird für die Artengruppe der Fledermäuse im Zuge der Planung und Genehmigung von WEA dem Konflikt der Schlaggefährdung derzeit mit vorlaufenden Untersuchungen begegnet sowie darauf aufbauend mit der Aufnahme von Betriebszeiteneinschränkungen in die Betriebsgenehmigung. Der Umfang der Abschaltungen orientiert sich an einer länderspezifischen Festlegung, welche die maximale Anzahl der Fledermäuse unter den vor Ort gegebenen Umweltbedingungen festlegt, die pro Jahr und Anlage geschlagen werden dürfen. Unterhalb dieser sogenannten Signifikanzschwelle wird davon ausgegangen, dass kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für Fledermäuse vorliegt.
Anlass für das vorliegende Dokument ist die Prüfung einer wissenschaftlichen Herleitung einer einheitlichen Signifikanzschwelle für Deutschland. Daraus folgend sollen pauschale Schwellenwerte für vorsorgliche Betriebszeiteneinschränkungen für WEA in Abhängigkeit der Tages- und Jahreszeit sowie der Windgeschwindigkeit und Lufttemperatur abgeleitet werden.

In Deutschland sind vor allem die im freien Luftraum fliegenden und migrierenden Fledermausarten (v.a. Abendsegler, Kleinabendsegler und Rauhautfledermaus) sowie Arten mit ausgeprägtem Neugierverhalten (v.a. Zwergfledermaus) durch den Betrieb von WEA gefährdet. Im Allgemeinen beeinflussen die Größe der WEA, die Länge der Rotoren und deren Bodennähe, die Entfernung zu Leitstrukturen sowie die Betriebszeiten in Abhängigkeit von Wetterbedingungen und der Jahreszeit die Schlagopferzahl. Gegenwärtig muss davon ausgegangen werden, dass die Zahl der bundesweit an WEA getöteten Fledermäusen in populationsrelevanten Größenordnungen liegt.

Aufgrund der geringen Reproduktionsrate von Fledermäusen, die populationsbiologisch als K-Strategen einzuordnen sind, führen bereits gering erhöhte Mortalitätsraten zu einem erhöhten Aussterberisiko. In welchem Umfang sich erhöhte Mortalitäten an WEA auf die Populationsgröße von schlaggefährdeten Fledermausarten auswirken, kann gegenwärtig nicht seriös berechnet werden, da der Kenntnisstand etwa zur Populationsgröße und jahreszeitenabhängigen Dichte dieser räumlich und zeitlich sehr dynamischen Fledermausarten noch unzureichend ist. Die seriöse Berechnung eines pauschalen, noch populationsverträglichen Schwellenwertes für die Zahl tolerierbarer Todesopfer an WEA ist deshalb nicht möglich. Zudem gilt losgelöst von der Populationsrelevanz der europarechtlich verankerte Individuenschutz. Grundsätzlich ist somit gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG jedes Individuum einer Art zu schützen, die Auswirkung auf die Population ist für den Sachverhalt der Tötung rechtlich zunächst nicht erheblich. Erst im Zuge eines artenschutzrechtlichen Ausnahmeverfahrens wird die Wirkung auf die Population abgefragt. In der Rechtsprechung besteht Konsens, dass der Tatbestand des Tötungsverbotes erst dann erfüllt ist, soweit sich die Wahrscheinlichkeit hierfür in signifikanter Weise erhöht. Es ist somit bei der Bewertung des signifikant erhöhten Tötungsrisikos ein vorhabenunabhängiges Grundrisiko für die Tötung eines Individuums zu berücksichtigen.

Mit dem Bau von WEA ist die Wahrscheinlichkeit einer kollisionsbedingten Tötung gegenüber dem vorher bereits in der Landschaft bestehenden Lebensrisiko erhöht, sofern keine wirksamen Vermeidungsmaßnahmen durchgeführt werden. Bezogen auf das Kollisionsrisiko sind dies vor allem die Betriebszeitenkorrekturen. Diese erfordern bereits im Vorfeld definierte pauschale, fachlich und rechtlich belastbare Schwellenwerte.

Die Bewertung des Tötungsrisikos für den regelmäßigen Betrieb einer WEA wird gegenwärtig von den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Dabei gibt es bezüglich des Schwellenwerts für die tolerierbare Zahl toter Fledermäuse pro WEA und Jahr sehr verschiedene Angaben (meist bis zu 2 Schlagopfer pro Anlage und Jahr). Ebenso gibt es deutliche Auslegungsspielräume in Bezug auf die Vorgaben für pauschale Betriebsalgorithmen vor allem hinsichtlich der Cut-In Windgeschwindigkeit und der Anwendung der Erfassung der Fledermausaktivität in Gondelhöhe. Nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen garantiert eine pauschale Cut-In Windgeschwindigkeit von 6 m/s nicht die Einhaltung der in den Länderleitfäden gegebenen Signifikanzschwelle. Da eine Herleitung für die populationsbiologisch noch verträgliche Zahl an hinnehmbaren Schlagopfern aufgrund fehlender demographischer Parameter für Fledermäuse bei gleichzeitig höchster Sensitivität gegenüber Mortalitätserhöhungen nicht berechenbar ist, erfolgt mit dem vorliegenden Dokument die Herleitung einer Empfehlung auf der unionsrechtlichen Verpflichtung zum Individuenschutz sowie dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zur Vermeidung von Schlagopfern.

Um das Tötungsrisiko beim Betrieb von Windenergieanlagen zu minimieren, wird deswegen ein bundeseinheitlicher Signifikanzschwellenwert von < 1 Tier pro Anlage und Jahr vorgeschlagen.

Die Einhaltung des vorgeschlagenen Signifikanzschwellenwerts von <1 muss der Schwellenwert für die pauschale Cut-In Windgeschwindigkeit sein. Diese sollte dabei mindestens in den ersten beiden Betriebsjahren durch eine sehr viel differenziertere Cut-In Windgeschwindigkeit ersetzt werden, die den Rotorblattdurchmesser, den jeweiligen Monat und das jeweilige Nachtzehntel sowie den Naturraum in Deutschland berücksichtigt. Der Wert für die pauschale (differenzierte) Cut-In Windgeschwindigkeit kann dann nach einem zweijährigen Betriebsmonitoring durch einen standortspezifischen Wert ersetzt werden. Die Betriebszeitenkorrekturen gelten zunächst für den Zeitraum 15. März bis 15. November. Die mindestens zweijährige Überwachung der pauschalen (differenzierten) Cut-In Windgeschwindigkeit und Temperaturschwelle (>10 °C) durch ein Gondelmonitoring mehrerer WEA eines Windparks ist idealerweise Teil der Vermeidungsmaßnahme.

Zur Einhaltung der Signifikanzschwelle von < 1 und zur Ermittlung der regionalisierten Betriebszeitenkorrekturen (v. a. Cut-In und Temperatur) ist das ProBat-Tool zu verwenden. Dieses berechnet auf Basis der an der Gondel ermittelten Fledermausaktivitäten den zukünftigen Anlagenalgorithmus unter Einhaltung der Signifikanzschwelle und ist derzeit die einzige wissenschaftlich begründete Methode zur Berechnung von Betriebszeitenkorrekturen auf Basis der gemessenen Fledermausaktivität.

(Zusammenfassung entnommen aus der Originalstudie)

Original-Studie:

Dietz, M., Fritzsche, A., Johst, A. & Ruhl, N. (2024): Fachempfehlung für eine bundesweite Signifikanzschwelle für Fledermäuse – Bewertung der derzeitigen Signifikanzschwelle für Fledermäuse und Windenergieanlagen. BfN-Schriften 682, 112 S. DOI: https://doi.org/10.19217/skr682

Diskussionspapier: Fachempfehlung für eine bundesweite Signifikanzschwelle für Fledermäuse und Windenergieanlagen
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